Architektur des Größenwahns

Die Bauten auf dem Reichsparteitagsgelände

Quelle: Julien Bryan | United States Holocaust Memorial Museum

GRÖßTE BAUSTELLE DEUTSCHLANDS

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 entstand in Nürnberg die größte Baustelle des Dritten Reiches. Mehrere Tausend Arbeiter waren gleichzeitig beschäftigt, der neuen Regierung Kulissen der Machtdemonstration zu bauen. Gebäude, die den Betrachter erdrücken sollten. In ihren architektonischen gigantomanischen Dimensionen, ihrer Bauweise und dem verwendeten Material, sollten sie dem jährlichen Schaulaufen auf den Reichsparteitagen einen imposanten Rahmen geben. Architektur, die riesige Menschenmassen ordnen und lenken sollte. Sie sollte die Menschen in ihren Bann ziehen und verlangte vom Einzelnen Ein- und Unterordnung.

Die Gebäude für die Reichsparteitage waren von vornherein ausgelegt als reines Schauinstrument. Natursteinfassaden an den Außenseiten der Bauten sollten eine Dauerhaftigkeit, gar einen Ewigkeitsanspruch, und Solidität ausstrahlen und darüber hinweg kaschieren, dass dahinter Millionen von konventionellen Backsteinen die Werke zusammenhalten. Die Bauten bestanden meist aus einem relativ einheitlichen Schema (vgl. Zelnhefer 1992: 125):

  • Eine ungeheure Größe, die beeindrucken sollte
  • Wuchtige Baumasse durch die Natursteine
  • Glatte, harte Flächen
  • Gerade Linien meist im 90 Grad Winkel
  • Formale Wiederholungen
  • Streng geometrische Formen
  • Axiale bzw. symmetrische Raumproportionen
  • So gut wie keine schmuckhaften Ornamente

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360 Grad-Aufnahme vom ehem. Reichsparteitagsgelände

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Quelle: Bundesarchiv, Bild 146II-277 / Binder / CC-BY-SA 3.0

Der Bauherr des Geländes: Albert Speer

Chefplaner der Bauvorhaben auf dem Gelände rund um den Dutzendteich war der junge Architekt Albert Speer. Adolf Hitler hatte eigentlich seinen Lieblingsarchitekten Paul Ludwig Troost für die Bauten vorgesehen. Dieser hatte bereits die Pläne für den „Führerbau“ und die Umgestaltung des „Braunen Hauses“ in München entworfen. Troost verstarb jedoch 1934.

Albert Speer gelang in der NSDAP ein rascher Aufstieg. 1931 in die Partei eingetreten, bekam er 1933 den Auftrag, das Tempelhofer Feld für einen Aufmarsch am 1. Mai 1933 zu dekorieren. Die Arbeit von Speer imponierte Hitler und so wurde er 1934 Bauleiter für das Reichsparteitagsgelände. So entwarf er ein Gesamtmodell für das Areal. Dieses Modell konnte jedoch nicht verschleiern, dass die einzelnen Bauwerke auf dem Reichsparteitagsgelände eher Stückwerk als ein großes Gesamtkonzept blieben (vgl. Schmidt u.a. 2002: 165). Die Bauten sollten in einem unheimlichen Tempo vollzogen werden, weshalb mit dem Bau der ersten Gebäuden (Umbau des Luitpoldhains, das Zeppelinfeldes und der Kongresshalle) schon begonnen wurde, bevor überhaupt ein Gesamtplan entstand. Für Kritiker bleibt damit das Gelände eine „Ansammlung von freistehenden Bauten, die keine Beziehung zueinander aufwiesen. Von einer Gesamtkonstruktion war nichts zu erkennen. (Zelnhefer 1992: 39). So liegt die Zeppelinwiese schräg zu allen anderen Bauwerken und kann „mit der Baumasse des Deutschen Stadions als Gegenüber kaum mithalten“ (Schmidt u.a.: 2004: 165.) Das Gleiche gilt für Kongresshalle im Vergleich zur wesentlich kleineren geplanten Halle für Hitlers Kulturreden.

 

Architekt des Größenwahns

Albert Speers schneller Aufstieg zum „Chefdekorateur“ der Reichsparteitage und später zum Rüstungsminister ist sehr mit der persönlichen Bindung zu Hitler verbunden. Erfahren Sie mehr in diesem Video. 

Der Arkadengang der Kongresshalle heute.

15 mal größer als die Nürnberger Altstadt

Das gesamte Reichsparteitagsgelände hatte eine Größe von 25 Quadratkilometern, in etwa die 15-fache Ausdehnung der Nürnberger Altstadt (vgl. Weiß 1992: 266). In Zentrum des Geländes sollte eine zwei Kilometer lange Aufmarschstraße die einzelnen Gebäude miteinander verbinden. Das geplante Gelände lässt sich in zwei Teile aufteilen: Im nördlichen Bereich liegt die „Monumentalbauzone“ (Dietzfelbinger/Liedtke 2004: 31) mit den gigantomanischen Bauten für die Aufmärsche, Paraden und Reden. Im südlichen Teil befinden sich die Lagerzonen mit Zeltstädten für die einzelnen teilnehmenden NS- und Staatsorganisationen. Des weiteren wurden spezielle Bahnhöfe gebaut, die An- und Abfahrt, sowie den Transport der Steine, ordnen sollten.

Albert Speer wurde bei den Nürnberger Prozessen zu 20 Jahren Haft verurteilt, die er komplett absitzen musste. Nach seiner Entlassung schrieb er mehrere Bücher, die zu Bestsellern wurden. Er vermochte es wie kein Zweiter, sich als „Saubermann“ zu inszenieren, der von der Massenvernichtung nichts gewusst haben wollte.

1978 schreibt Speer in dem Vorwort eines Buches, welches Fotos von den fertiggestellten Bauwerken und von seinen Modellen zeigt, rückblickend über seine Werke: „Für jeden Künstler ist es eine Genugtuung, am Ende seiner Laufbahn sein Werk dokumentiert und damit bewahrt zu sehen. Bei mir stehen Zweifel und Bedenken im Vordergrund. Aber es wäre unwahrhaft, wenn ich nicht gestünde, dass die Wiederbegegnung mit dieser architektonischen Hinterlassenschaft eines knappen Jahrzehnts dennoch Empfindungen der Befriedigung hervorruft: Der Siebzigjährige blickt mit verwundertem und erschrecktem Stolz auf den fehlgeleiteten Elan des Dreißigjährigen.“ […] „Ich will es kritisieren, ich kann mich von ihm nicht distanzieren. Die Verleugnung des Werks wäre das Dementi der Person.“ (Speer 1978: 5)

Milliarden für den Größenwahn

Um die Baumaßnahmen sowohl organisatorisch als auch finanziell zu organisieren, wurde 1935 der „Zweckverband Reichsparteitag Nürnberg“ (ZRN) gegründet, dessen Gesellschafter die NSDAP, das Reich, das Land Bayern und die Stadt Nürnberg waren (vgl. Dietzfelbinger/Liedtke 2004: 37). Die Stadt war vorher mit den Kosten für die Bauten und für die Reichsparteitage selbst weitgehend auf sich alleine gestellt und war gezwungen, Kredite aufzunehmen. Die Kostenvoranschläge für die geplanten Bauten stiegen im Laufe der Jahre in gigantische Höhen: „1934 lagen sie bei 60 bis 80 Millionen Reichsmark, 1936 bei 150 Millionen, 1938 bei 600 Millionen. Tatsächlich dürften die Kosten für die Parteitagsbauten die Summe von einer Milliarde Reichsmark weit überschritten haben.“ (ebd.: 38) Die Frage, wie solch eine ungeheure Summe finanziert werden sollte, durfte nicht gestellt werden. In einer Anweisung für „Führer“ über das Gelände wurde vorgeschrieben: „Jede Nennung von Kostenbeträgen unterbleibt.“ (Dienstanweisung für Führungspersonen zit. nach Schmidt u.a. 2002: 240)

Die Propagandamaschinerie der NSDAP setzte derweil Adolf Hitler als den „genialen Baumeister“ (Dietzfelbinger/Liedtke 2004: 36) in Szene. Eine Vielzahl von Bildern und Beiträgen in den Wochenschauen zeigen Hitler, wie er Baupläne studiert und die Bauarbeiten in Nürnberg besichtigt. Das Volk sollte glauben, dass „der Führer“ die Bauwerke bis ins kleinste Detail plante und alle wichtigen Entscheidungen trifft. Adolf Hitler wäre selbst gern Architekt geworden, war jedoch nur ein Laie. (vgl. ebd.) Jedoch habe seine wirkliche Tätigkeit vornehmend darin bestanden, aus mehreren bestehenden Entwürfen eines auszuwählen.

Der „Goldene Saal“ heute.

Steine im Goldenen Saal.

BLUT AN DEN STEINEN

Um den riesigen Bedarf von Naturstein für die Bauwerke zu decken und die Kosten minimal zu halten, wurden ab 1938 in der Nähe von Steinbrüchen in Flossenbürg, Mauthausen, Groß-Rosen und Natzweiler-Struthof von der SS Konzentrationslager für Häftlinge errichtet (vgl. Schmidt u.a. 2002: 69). Sie mussten unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten, unzählige starben bei der „Vernichtung durch Arbeit“. Die Steine an denen das Blut von Oppositionellen, jüdischen Mitbürgern und weiteren Minderheiten klebt, wurden weitestgehend nicht mehr verwendet. Mit Kriegsbeginn 1939 endeten die Bauarbeiten auf dem Reichsparteitagsgelände zunächst. Nach dem Sieg über Frankreich wurden sie jedoch wieder aufgenommen. Da die meisten ehemaligen Arbeiter jedoch an der Front stationiert waren, wurden Kriegsgefangene gezwungen, die Arbeiten fortzuführen. Speer selbst ordnete dabei die Bereitstellung von russischen Gefangnenen an (vgl. Dietzfelbinger 2004: 85). Sie wurden dort stationiert, wo während der Reichsparteitage die SA ihr Lager hatte. Im Lager waren so etwa 30.000 Menschen unter extrem schlechten Bedingungen zusammengepfercht, mehrere Tausend starben (vgl. ebd.: 86).

In Stein gebaute Ideologie

Die Gebäude auf dem Reichsparteitagsgelände haben den Krieg weitestgehend überstanden. Die Amerikaner haben sie bei ihren Luftangriffen gezielt verschont. Ihre Zerstörung hätte kriegstechnisch keinen Sinn ergeben. Der einzige Sinn des Geländes lag darin, während der Reichsparteitage eine Bühne für den Größenwahnsinn zu bieten. Ansonsten wurde es 51 Wochen im Jahr nicht genutzt.

Die US-Army hat nach ihrem Einmarsch in Nürnberg am 22. April 1945 eine Siegesparade auf dem Zeppelinfeld abgehalten. Zum Schluss der Veranstaltung sprengten sie das Hakenkreuz, welches auf der Haupttribüne angebracht war, in die Luft und zeigten so symbolisch das Ende der NS-Herrschaft. Mit dem Ende des Nationalsozialismus begann die Frage, was aus dem Gelände gemacht werden sollte. Die Vorschläge reichten von einem Komplettabriss bis hin zu einer durchkommerzialisierten Weiternutzung.

Die Kongresshalle dient heute u.a. als Lagerfläche für den Christkindlsmarkt

Das Ende des Größenwahns

Albert Speers Bauten sind heute Zeugnisse des Scheiterns größenwahnsinniger Fantasien. Sie sollten die Menschen sowohl faszinieren, als auch einschüchtern mit ihrer rohen gigantomanischen Architektur. Albert Speer ist ein Beispiel dafür, dass Kunst (in dem Fall Architektur) niemals gänzlich unpolitisch ist. Auch wenn Speer nach 1945 seine Bedeutung im NS zu relativieren versuchte, nimmt er durch die Inszenierung der Reichsparteitage eine besondere Stelle im „Dritten Reich“ ein. Bei den Nürnberger Prozessen wird er zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt. Sein Leben rettet er mit einer geschickten Taktik, zwar einerseits Schuld anzuerkennen, von den Massenvernichtungen in den Konzentrationslagern aber nichts gewusst zu haben. Sehen Sie sich hier ein Video über die „Nürnberger Prozesse“ an.

Auf der nächsten Seite: Das Zeppelinfeld – Führerprinzip in Stein gemeißelt.

LITERATURVERZEICHNIS

 
  • Dietzfelbinger, Eckart; Liedtke, Gerhard (2004): Nürnberg – Ort der Massen. Das Reichsparteitagsgelände Vorgeschichte und schwieriges Erbe. Augsburg: Weltbild
  • NSDAP (1937): Reden des Führes am Parteitag der Arbeit 1937. München, Zentralverl. der NSDAP, Eher.
  • Schmidt, Alexander; Windsheimer, Bernd; Wachter, Clemens; Heyden, Thomas (Hg.) (2002): Geländebegehung. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. 3. vollständig überarbeitete Neuaufl. Nürnberg: Sandberg.
  • Speer, Albert (1978): Architektur. Arbeiten 1933 – 1942. Frankfurt a.M.: Propylaeen
  • Weiß, Wolfgang W. (1992): „Ruinen-Werte“. Das Nürnberger Reichsparteitagsgelände nach 1945.  In: Bernd Ogan und Wolfgang W. Weiß (Hg.): Faszination und Gewalt. Zur politischen Ästhetik des Nationalsozialismus. 1. Aufl. Nürnberg: W. Tümmel, S. 225-240.
  • Zelnhefer, Siegfried (1992): Rituale und Bekenntnisse. Die Reichsparteitage der NSDAP. In: Ernst Eichhorn (Hg.): Kulissen der Gewalt. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. München: Hugendubel, S. 89–98.