Die Reichsparteitage

Inszenierung eines Staatsschauspiels

Größte Inszenierung eines Regimes

Die Reichsparteitage waren die größte „Schulungs- und Erziehungsmaßnahme“ (Zelnhefer 2002: 258) des Dritten Reiches. Sie waren Ort der Verkündung, der Begeisterung und der Faszination. Der britische Botschafter Sir Neville Henderson schrieb: „Nobody who has not witnessed the various displays given at Nuremberg during the week’s rally or been subjected to the atmosphere thereat can be said to be fully acquainted with the Nazi movement in Germany. (Henderson 1940: 65) (deutsch: „Niemand, der nicht Zeuge der verschiedenen Veranstaltungen während der eine Woche dauernden Versammlung in Nürnberg gewesen oder der dort herrschenden Atmosphäre ausgesetzt worden ist, kann sich rühmen, die Nazi-Bewegung in Deutschlang völlig kennengelernt zu haben.“) Die Worte klingen euphemistisch, jedoch sind die Reichsparteitage der Ort, an dem die Propaganda in spektakulärster Weise Menschen in ihren Bann ziehen wollten.

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Ablauf der Reichsparteitage

Die Parteitage waren geprägt von einem sich immer wiederholenden Ablauf. Jeder Tag war einem bestimmten Ereignis oder einer bestimmten Formation gewidmet. (vgl. Dietzfelbinger/Liedtke 2004: 74ff.)

Tag der Begrüßung

Feierliche Ankunft Hitlers mit einem Flugzeug. Hitler fuhr stehend in einem Auto an den Menschenmassen in der Innenstadt vorbei. Empfang im Nürnberger Rathaus unter Kirchengeläut. Am Abend folgte die Aufführung der Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ von Richard Wagner. Die Nazifunktionäre blieben der Veranstaltung jedoch lieber fern und mussten oft erst aus den Nürnberger Lokalen und Kneipen herangeschafft werden.

Tag der Kongresseröffnung

Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß eröffnete den Parteikongress. Im Anschluss laß der Gauleier von München-Oberbayern, Adolf Wagner, eine Proklamation von Hitler vor. Hitler selbst redete zum ersten Mal bei der sogenannten „Kulturtagung“ am Abend. Ab 1937 wurde hier der „Deutsche Nationalpreis“ vergeben. Der Grund: 1936 hat der im KZ inhaftierte Pazifist Carl von Ossietzky den Friedensnobelpreis erhalten. Aus Protest wurde den Deutschen eine zukünftige Annahme des Preises verboten. Der „Deutsche Nationalpreis“ wurde vorwiegend „verdienten“ Menschen des Nationalsozialismus, wie Ludwig Troost oder Alfred Rosenberg, vergeben.

Tag des Arbeitsdienstes

Der Arbeitsdienst schwörte auf dem Zeppelinfeld Hitler die Treue. Jeder Mann musste ab 1935 mindestens 6 Monate den Arbeitsdienst ableisten. Der Dienst bestand hauptsächlich aus Forst- und Deichbauarbeiten. Dazu gab es ideologische Schulungen.

Tag der politischen Leiter

Aufmarsch der Funktionäre in der Partei. Da diese oftmals durch ihr Übergewicht nicht sehr ansehnlich aussahen, wurde ihr Aufmarsch in die Abendstunden verlegt und mit dem „Lichtdom“ eine eindrucksvolle Lichtinstallation geschaffen.

Tag der Gemeinschaft

Ab 1937 wurde ein Tag der Gemeinschaft als zusätzlicher Programmpunkt hinzugefügt. Er begann mit den NS-Kampfspielen, einer Mischung aus Sport- und Wehrertüchtigung. Unter anderem gab es Pistolenschießen, Wettläufe bei vollem Gepäck und einen Handgranatenweitwurf. Danach gab es auf dem Zeppelinfeld Turn- und Gymnastikübungen. Im Anschluss führten BDM-Mädchen Tänze vor.

Tag der Hitler-Jugend

Einschwörung des Nachwuchses in die Parteiideologie. Am Abend gab es ein großes Feuerwerk als Höhepunkt des Volksfestes von „Kraft durch Freude“.

Tag der Sturmabteilungen

Aufmarsch von SA und SS in der Luitpoldarena. In einem Totenkult huldigten sie dabei die Toten des gescheiterten Putsches von Hitler im Jahr 1923. Im Anschluss gab es einen Marsch zum Hauptmarkt (damals: Adolf-Hitler-Platz) in der Nürnberger Innenstadt.

Tag der Wehrmacht

Schaumanöver der Wehrmacht auf dem Zeppelinfeld und eine abschließende Rede Hitlers beim Parteikongress. Mit einem „großen Zapfenstreich“ endete der Reichsparteitag.

Auf der Zeppelintribüne. (Quelle: Julien Bryan)

„Führer“ & „Volksgemeinschaft“

„Wie fühlen wir nicht wieder in dieser Stunde das Wunder, das uns zusammenführte“, rief Hitler 1936 in der Luitpoldarena den Teilnehmern zu. „Ihr habt einst die Stimme eines Mannes vernommen, und sie schlug an eure Herzen, sie hat euch geweckt, und ihr seid dieser Stimme gefolgt. Ihr seid ihr jahrelang nachgegangen, ohne den Träger der Stimme auch nur gesehen zu haben… Das ist das Wunder unserer Zeit, daß ihr mich gefunden habt… unter so vielen Millionen! Und daß ich euch gefunden habe, das ist Deutschlands Glück!“ (NSDAP 1936: 59)

Kerngedanke der Reichsparteitage waren nicht politische Debatten oder gar Mitbestimmung, sondern die Inszenierung einer „Volksgemeinschaft“, die in Adolf Hitler ihren „Führer“ gefunden hatte. Adolf Hitler wurde zu einer Art Messias stilisiert, der die Deutschen aus der shwierigen Lage der Weimarer Zeit herausführen würde. Nach dem Historiker Peter Reichel intendierten die Nationalsozialisten mit „dem Führer-Mythos und Personenkult um Hitler […] eine Überwindung schwer verständlicher komplexer und abstrakter politischer Strukturen zugunsten einer volksnahen Personifizierung der Politik.“ (Reichel 1992: 137) In dieser Volksgemeinschaft „schienen Klassengegensätze und Statusunterschiede beseitigt, die Fremdheit sozialer Schichten aufgehoben zu sein.“ (Reichel 1996: 111) Jedoch war dies bloßes Schauspiel: Anstatt einer Art Scheinsozialismus, der hier inszeniert wurde, blieben die Unterschiede zwischen arm und reich auch im Nationalsozialismus bestehen. Also bedurfte es solcher Schauinszenierungen, um auch den einfachen Menschen die Möglichkeit zu geben, sich als etwas Bedeutendes zu erfahren. Das ist auch der Grund, warum viele Menschen die Aufmärsche von Nürnberg erhebend und bedeutend fanden: „Hier wurden aus den ewig Unterdrückten mit einem Male ‚Teilhaber der Macht‘, aus Opfern unverstandener Prozesse wurden – zumindest in der Imagination – Täter, Gestalter des Weltprozesses. (Ogan 1992: 14) Wer hier auf dem Zeppelinfeld oder der Luitpoldarena stand, konnte sich sicher sein, auf der „richtigen Seite“ zu stehen, auch weil Andere von vornherein von den Parteitagen ausgeschlossen wurden. Bereits 1933 wurde das erste Konzentrationslager in Dachau eröffnet. Wer sich nicht auf die Seite der Nationalsozialisten stellte, drohte „ab nach Dachau“ zu müssen. Die Faszination und die Gewalt des NS gehörten seit Beginn der neuen Regierung zusammen. Mit einer solchen Zweiteilung der Welt in „gut“ und „böse“ wurden dem Parteimitglied einfache Identifikationsmöglichkeiten gegeben. Aber auch die schon Überzeugten bedurften „rigider Kontrollmechanismen“ (ebd.). Dazu gehörten vor allem Uniformen, mit denen die Menschen bei den Reichsparteitagen nicht als Individuum, sondern als Kollektiv, als eine „Masse“ auftraten. „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ (Zelnhefer 1992: 89), war der plakative Spruch, der die Volksgemeinschaft sinnvoll zusammen fasst.

Jede einzelne Abteilung des NS hatte bei den Reichsparteitagen ihren Auftritt. Das fing bei den Jüngsten an. Am „Tag der Hitler-Jugend“ wurde der Nachwuchs eingeschworen auf den NS-Staat. Mit ideologischen Liedern, Gedichten und Treuebekenntnissen versicherten sie Hitler ihren Glauben, Gehorsam und Kampfeswillen. „Heute, da sehen wir mit Freude nicht mehr den bier- und trinkfesten, sondern den wetterfesten jungen Mann, den harten jungen Mann. Denn nicht darauf kommt es an, wieviel Glas Bier er zu trinken vermag, sondern darauf, wieviel Schläge er aushalten, nicht darauf, wieviele Nächte er durchzubummeln vermag, sondern wie viele Kilometer er marschieren kann“ (NSDAP 1935: 183), brüllte Hitler 1935 der Parteijugend zu. In den Dienstordnungen an die Hitler-Jugend drückt sich der disziplinierende und zur Unterordnung verpflichtende Charakter der Veranstaltung aus: „Achtet beim Marschieren in Nürnberg besonders auf die Richtung und haltet im Glied den Mund.“ Wer bei der Kundgebung im Stadion versagt, „ist nicht würdig, auch noch länger in der HJ zu verbleiben.“ (zit. nach Schmidt u.a. 2002: 83).

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Todeskult

„Um 8 Uhr früh begann mit dem Eintreffen des Führers der große Appell in der Luitpoldarena. Nach der Heldenehrung sprach Adolf Hitler zu den rund 120 000 Männern der Kampfformationen, denen er unter immer wieder aufbrandendem Jubel zurief: ‚Was jetzt hier steht, ist des deutschen Volkes beste politische Kampftruppe, die es je gehabt hat.’“ (NSDAP 1938: 25) Was der Schreiber des offiziellen Berichtsbandes vom Reichsparteitag 1938 meint, ist der Aufmarsch von SA und SS. Eine Kulthandlung, bei der die Toten des gescheiterten Putsches von Hitler und Ludendorff von 1923 als „Helden“ geehrt wurden. Der Ort war dafür wie geschaffen: Der Luitpoldhain, schon in den 1920er Jahren Ort der Parteitage der NSDAP, wurde in eine steinerne Arena umgewandelt. Nach der Ansprache ging Hitler als „einsamer Führer“, nur gefolgt von den Chefs von SA und SS, über die mit Granit besetzte „Straße des Führers“ zur Ehrenhalle der Verstorbenen des Weltkriegs, um dort einen Kranz niederzulegen. Diese entstand schon in den 1920er Jahren, bot sich aber als perfekte Gelegenheit, die Gefallenen des Weltkrieges und den Toten des Putsches symbolisch die gleiche Bedeutung zu geben.

Er schwor damit die Teilnehmer auf das „Vermächtnis“ der Gestorbenen ein. Neue Parteistandarte berührte er feierlich mit der sogenannten „Blutfahne“, an der angeblich noch das Blut der Toten des Putsches klebte (vgl. Dietzfelbinger/Liedtke 2004: 46).

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Triumph des Willens

„Großkampftag. Um 5 Uhr früh sind wir alle in der Luitpold-Arena versammelt. Bei dieser größten und feierlichsten Veranstaltung müssen alle Operateure auf einen Schlag eingesetzt werden. Auch alle Wochenschauen sind vertreten. An jedem wichtigen Punkt steht eine Kamera. Über 120 Meter Schienen haben wir zwischen die aufgestellten Reihen der SA gelegt.“ (Riefenstahl 1935: 25) Mit diesen Worten beschreibt Leni Riefenstahl die Vorbereitungen für die Filmaufnahmen bei den Aufmärschen von SA und SS im Luitpoldhain 1934. Neben Kameraschienen wurde ein 38 Meter hoher Fahrstuhl an einem Fahnenmast gebaut, um Aufnahmen aus der Luft machen zu können. Alles sollte in diesem Jahr perfekt auf Film gebannt werden.

Adolf Hitler hat schon im Jahr zuvor Leni Riefenstahl den Auftrag gegeben, einen Film über den Parteitag 1933 zu machen. Aus den Aufnahmen erstellte sie den Film „Sieg des Glaubens“. Er hatte jedoch einige Makel (vgl. Dietzfeblinger/Liedtke 2004: 81): In einigen Szenen sind die Wiesen und Straßen nicht ordentlich genug. Auch mussten Hitler und seine Parteielite das „Spiel mit der Kamera“ noch üben. Vor allem aber stand in dem Film eine Person quasi gleichberechtigt neben Hitler, nämlich der damalige Stabschef der SA, Ernst Röhm. Er hatte durch das Kommando der SA eine große Bedeutung in der neuen Regierung. Hitler ließ den Konkurrenten erschießen (vgl. ebd.: 65). Deshalb verschwanden die Aufnahmen von „Sieg des Glaubens“ aus der Öffentlichkeit.

1934 sollte nun alles stimmen. Mit einem Etat von 300 000 Reichmark und einem Team von 170 Mitarbeitern (vgl. ebd.: 81) erschaffte Leni Riefenstahl mit „Triumph des Willens“ ein perfektes Werk im Sinne des Nationalsozialismus. Mit ungewöhnlichen Perspektiven, neuen Kamera- und Aufnahmetechniken, der Verwendung von Auf- und Untersichten und einer spannungsvollen Montage aus Totalen und Großaufnahmen schaffte sie ein Meisterwerk der Inszenierung von „Führer“ und „Volksgemeinschaft“.

Mit einem Dokumentarfilm hat das Werk jedoch wenig zu tun. In mühevoller Kleinstarbeit änderte sie den chronologischen Ablauf und wenn das Wetter nicht mitspielen wollte, wurden im Schnitt Bilder bei strahlendem Sonnenschein hinzugefügt (siehe hierzu das nebenstehende Video). Einige Szenen wurden später sogar in Berlin neu gedreht. (vgl. Heinzelmann 1992: 166) In ihrem Film ist Hitler der „Star“, der einzige Hauptdarsteller, der aus dem Chor der Masse seine Legitimität bezieht. Ihre Großaufnahmen zeigen Vorbilder, ein Schönheitsideal. Sie selbst wählte die Menschen mit aus, die in den vorderen Reihen stehen (vgl. ebd.).

Der Vertrieb des Filmes wurde steuerlich stark begünstigt (vgl. Herzig u.a. 2011: 64) und Kinobesitzer mussten die Eintrittskarten zu Sonderpreisen verkaufen. Es wird geschätzt, dass etwa 3 Millionen Menschen den Film in den Kinos gesehen haben. Auch international feierte er Erfolge: Er wurde als bester ausländischer Dokumentarfilm beim internationalen Filmfestival in Venedig 1935 prämiert und bei der Weltausstellung in Paris 1937 erhielt er die „Goldmedaille mit Diplom“. Der Film prägt das Bild des Nationalsozialismus bis heute. Nach „Triumph des Willens“ drehte Riefenstahl 1935 noch einen Kurzfilm über den Aufmarsch der Wehrmacht beim Reichsparteitag und 1936 die beiden Filme über die Olympischen Spiele in Berlin. Ihr Image als Propagandistin des Dritten Reiches wurde sie bis zu ihrem Tod nicht mehr los.

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LENI RIEFENSTAHL

MEISTERHAFTES BLENDWERK

Lichtdom

Weil die Reichsparteitage sich von den Inhalten her sich jedes Jahr wiederholten, sollten immer spektakulärere Inszenierungen Besucher und Zuschauer nach Nürnberg locken. Der Einsatz von modernsten Techniken von Lichtinstallationen, Lautsprechersystemen und einem Meer von Hakenkreuzflaggen sollte so die inhaltlich dünnen, dafür langatmigen Reden überstrahlen.

Die wohl beeindruckendste Inszenierung davon war der sogenannte „Lichtdom“. Beim Appell der politischen Leiter in den Abendstunden auf dem Zeppelinfeld wurde die Haupttribüne durch ein indirektes Licht beleuchtet. Auf den Seitenwänden brannten riesige Feuerschalen. Beim der Ankunft Hitlers wurden 130 Flakscheinwerfer, die um das ganze Feld aufgestellt wurden, eingeschaltet und in den Himmel gestrahlt. In einigen Kilometern Höhe verschmolzen die Lichtstrahlen, wodurch die Teilnehmer in einen riesigen symbolischen Raum eingeschlossen wurden. „The effect, which was both solemn and beautiful, was like being inside a cathedral of ice.“ (Henderson 1940: 66) (deutsch: „Der Effekt, zugleich feierlich und schön, war wie in einer Kathedrale aus Eis zu sein.“) Die Veranstaltung unter dem Lichtdom war wie eine Art Gottesdienst des NS-Systems. Fast priesterhaft verkündet der Reichsorganisationsleiter Robert Ley: Wir glauben an den einen Herrgott im Himmel, der uns geschaffen hat, der uns lenkt und behütet, und der Sie, mein Führer, uns gesandt hat, damit Sie Deutschland befreien. Das glauben wir, mein Führer.“

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Warum Nürnberg?

1933 verkündet Hitler, dass die Reichsparteitage von nun an jedes Jahr in Nürnberg stattfinden sollen (vgl. Dietzfelbinger/Liedtke 2004: 29). Damit war auch gleichzeitig entschieden, dass an dieser Stelle eines der größten Bauprojekte des „Dritten Reiches“ auf diesem Gelände entstehen sollte. Nürnberg war als „Stadt der Reichsparteitage“, neben Berlin, München, Hamburg und Linz, eine der „Führerstädte“. Doch warum wurde Nürnberg ausgewählt und nicht beispielsweise Berlin? Schauen Sie sich dafür das folgende Video an.

FASZINATION

Die Reichsparteitage haben die Massen begeistert. In einem Blatt der Diakonie von Danzig-Langfuhr wurde ein Bericht von Diakonieschwestern abgedruckt, die ihre Eindrücke von Nürnberg festhielten (Blätter aus dem Evangelischen Diakonieverein 1936 zit. nach Klee 1992: 119ff.)

„Der große Augenblick ist da: der Führer zeigt sich auf dem Balkon. Wir stehen gerade gegenüber, sehen ihn aus nächster Nähe. Er grüßt, grüßt immer wieder. Neue Heilrufe dringen hinauf. Der Blick läßt einen nicht von der Gestalt dort oben, meint, sie sich auf ewig einprägen zu müssen. Einmal noch grüßt der Führer, und dann verschwindet er.“ […]

„Wir fühlen den Blick seiner Augen. Es ist einem so, als sähe er einem bis auf den Grund der Seele. Die Menschenmasse hält den Atem an, wagt nicht, sich zu rühren. Als alle Reihen abgeschritten sind, wendet sich der Führer und geht zurück ins Hotel. Die Masse jubelt und jauchzt – man muß seine Freude hinausschreien! Ich möchte den sehen, der da ruhig bleiben könnte.“  […]

„Montag früh starteten wir bereits wieder um ¼ 6 Uhr zur Zeppelinwiese, denn hier erwartete uns das großartige Schauspiel unserer jungen Wehrmacht. Heer, Luftwaffe, Marine und Flakabteilungen leisteten Phantastisches und als das Horst-Wessel-Geschwader innerhalb der über uns kreisenden 400 Flugzeuge vorüberflog, bemächtigte sich der ganzen schweigenden Menge tiefste Ergriffenheit. Unser Heer besitzt eine solche Disziplin und Tüchtigkeit, dass wir nicht zu zagen brauchen. Unser Führer leitet uns sicher und aufopfernd durch alle Fährnisse hindurch, Gott selber hat ihn ausgerüstet, darum können wir getrost seinem Wege anvertrauen.“  […]

„Am Abend dieses Freitags erwartete uns auf der Zeppelinwiese noch ein ganz grandioses Erlebnis: der Appell der politischen Leiter vor dem Führer. 98.0000 Männer füllten in Zwölferreihen das Zeppelinfeld. Sie wirkten in der Dämmerung wie ein wogendes braunes Meer. Aus unsichtbaren Lichtquellen fällt eine strahlende Helle in die Säulengänge der Ehrentribüne. Scheinwerfer beleuchten die Türme des weiten Runds, auf denen die Fahnen des neuen Deutschland in wundersamen Rot flattern. Außen standen in 10 Meter Entfernung um das ganze Zeppelinfeld große Scheinwerfer, deren Strahlen sich in unendlicher Höhe zu einem Dom vereinten und das Ganze feierlich umschlossen. […] Tausende verließen nach dieser Feierstunde unter dem sternbesetzten Himmelsdomen die Stätte, wo die Menge zu einer Andacht vereint, das wundersamste Erlebnis gehabt hatte.“  […]

„Ich selber kam dankerfüllt und bis ins Innerste bewegt von diesen hohen Festtagen in dem herrlich geschmückten, urdeutschen Nürnberg zurück. Dieses gewaltige Erleben hatte mich in der Tiefe ergriffen, und wie warm danke ich Gott, dass ich in Gesundheit all dieses Erhabene hatte in mich aufnehmen können.“

„Volksfest“ & „Tag der Gemeinschaft“

Trotz immer spektakulärerer Inszenierungen waren viele Deutsche des Parteitagszeremonies müde geworden (vgl. Schmidt u.a. 2002: 11) Um die Leute trotzdem nach Nürnberg zu locken, wurde mit den Jahren ein großes Rahmenprogramm geschaffen. Ab 1937 gab es täglich ab 16 Uhr ein Volksfest der Abteilung „Kraft durch Freude“, die sogenannte „KDF-Stadt“. Tanz, Folklore, Biergärten und Feuerwerke konnte auch Nichtüberzeugte nach Nürnberg locken. Dazu gab es Sonderspiele vom 1. FC Nürnberg gegen Schalke 04. Diese scheinbar unpolitischen Veranstaltungen hatten eine wichtige Rolle, nämlich auch im Freizeitbereich mit „dem Tanzboden einer Forderung nachzukommen, die wir im politischen und wirklichen Leben längst wiederaufgestellt haben, dass nämlich keiner aus ‚der Reihe tanzt‘.“ (zit. nach ebd.: 205)

Ein anderes Beispiel dafür ist der sogenannte „Tag der Gemeinschaft“, bei dem ab 1937 Männer ihre Kraft beim Heben von Baumstämmen bewiesen und gymnastische Übungen vorgeführt wurden. Danach zeigten Mädchen vom BDM verschiedene Tänze: „Es ist ein beschwingtes und anmutig bewegtes Bild, diese Mädels ihre Drehtänze, ihre Walzer und Doppelachter tanzen zu sehen! Auch dies ist keine ‚Vorfühung‘ im alten Sinne. Die Mädels tanzen aus Freude am Tanz, weit entfernt vom Zwang und der Absichtlichkeit des Sich-Zeigen-Wollens. Sie verkörpern einfach, als Ergänzung der Demonstration beherrschter männlicher Leibeszucht und Körperkultur, weiblichen Anmut, hingegeben der Musik, die ihnen Rhythmus gibt.“ (Offizieller Bericht über den Parteitag 1937, zit. nach. Schmidt u.a. 2002: 124) Der „Tag der Gemeinschaft“ war einer der wenigen Veranstaltungen, bei dem auch Frauen Teilnehmende waren. Die einzige Frau, die während der Parteitage eine Rede hielt war die „Reichsfrauenführerin“ Gertrud Scholtz-Klink bei einer Sonderveranstaltung abseits der Massenaufmärsche (vgl. Schmidt u.a. 2002: 121).

KDF-Stadt während der Reichsparteitage. (Quelle: Dokumentationszentrum Reichsparteitage)

Ringelreihen vor dem Führer: Der Tag der Gemeinschaft. (Quelle: Dokumentationszentrum Reichsparteitage)

Prostitution, Chaos und Alkohol

Die Propaganda der NSDAP kontrollierte genau jedes Bild, jeden Film- und jeden Tonbeitrag, der über die Reichsparteitage publiziert werden sollte. In den Aufnahmen wirkt alles perfekt: Perfekte Choreographien, perfekte Aufmärsche und natürlich auch ein perfektes Verhalten der Teilnehmer. Die Realität sah jedoch anders aus (vgl. dazu: Zelnhefer 2002: 244ff.) Viele Aufmärsche klappten nicht wie gewünscht, einzelne Formationen tanzten aus der Reihe. So heißt es in einem internen Bericht: „Der Fackelzug der Politischen Leiter war einfach eine Katastrophe. Die meisten Politischen Leiter sind überhaupt nicht dahinter gekommen, dass sie beim Führer vorbeimarschierten. Dieses Antreiben und dieser Dauerlauf, der jedes Jahr gestellt werden muß, bringt alles durcheinander. Es waren nur ganz wenige Gaue, die eine ziemlich geschlossene Linie boten. Es ist eine glatte Unmöglichkeit, die Gaue ohne irgendeinen Abstand marschieren zu lassen. Es war, auf deutsch gesagt, – eine Blamage.“ (Interner Bericht, zit. nach: Zelnhefer 2002: 249)

Viele Teilnehmer nahmen den Ausflug nach Nürnberg als Gelegenheit wahr, sich den Sorgen und Strapazen des Alltags zu entfliehen und einmal „richtig einen drauf“ zu machen. Es gibt viele Berichte über betrunkene Parteimitglieder, die nachts auf den Straßen lagen. Dazu wurden die Straßen der Prostituierten zahlreich besucht: „Die Erfahrungen der Reichsparteitage 1933 und 1934 machten auch beim Reichsparteitag 1935 die Absperrungen der Nürnberger Dirnenstraßen erforderlich. Nach wie vor sind […] diese Straßen, in denen ungefähr 120 Lohndirnen in einzelnen Häusern beisammen wohnen, das Ziel vieler Reichsparteitagsbesucher. Vor allem musste beobachte werden, dass P.O.-Männer [Politischer Leiter], die ja am Reichsparteitag die größere Freizügigkeit genießen, immer wieder versuchen, trotz der auffälligen Absperrung durch SS-Posten bei Tag und Nacht in diese Straßen einzudringen.“ (Bericht der Sittenpolizei 1935 zit. nach Dietzfelbinger/Liedtke 2004: 80) Hier zeigt sich auch die Scheinheiligkeit des NS-Systems: Parteileute in Uniform wurden durch die SS nach Hause geschickt, um in ziviler Kleidung die Absperrungen ohne Probleme passieren zu können (vgl. Zelnhefer 2002: 245).

Auf der nächsten Seite: Die Rhetorik des Hasses – Der Weg nach Auschwitz.

LITERATURVERZEICHNIS

  • Dietzfelbinger, Eckart; Liedtke, Gerhard (2004): Nürnberg – Ort der Massen. Das Reichsparteitagsgelände Vorgeschichte und schwieriges Erbe
  • Heinzelmann, Herbert (1992): Die Heilige Messe des Reichsparteitags. Zur Zeichensprache von Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“. In: Bernd Ogan und Wolfgang W. Weiß (Hg.): Faszination und Gewalt. Zur politischen Ästhetik des Nationalsozialismus. 1. Aufl. Nürnberg: W. Tümmel, S. 163-169
  • Henderson, Neville (1940): Failure Of A Mission. Berlin 1937-1939. New York:G.P. Putnam’s Sons
  • Herzog, Markwart; Leis, Mario (2011): Kunst und Ästhetik im Werk Leni Riefenstahls. München: Edition Text + Kritik im Richars Boorberg Verlag.
  • Klee, Ernst (1992): „Evangelische Diakonie und Nationalsozialismus gehören zusammen.“ Wie unsere Schwestern den „Reichsparteitag der Ehre“ erlebten. In: Bernd Ogan und Wolfgang W. Weiß (Hg.): Faszination und Gewalt. Zur politischen Ästhetik des Nationalsozialismus. 1. Aufl. Nürnberg: W. Tümmel, S. 117-127.
  • NSDAP (1935): Der Parteitag der Freiheit. Offizieller Bericht über den Verlauf des Reichsparteitages mit sämtlichen Kongreßreden. München, Franz Eher Nachf. Verlag (Zentralverlag der NSDAP).
  • NSDAP (1936): Reden des Führers am Parteitag der Ehre 1936. München, Franz Eher Nachf. Verlag (Zentralverlag der NSDAP).
  • NSDAP (1938): Der Parteitag Großdeutschland. Offizieller Bericht über den Verlauf des Reichsparteitages mit sämtlichen Kongreßreden. München, Franz Eher Nachf. Verlag (Zentralverlag der NSDAP).
  • Ogan, Bernd (1992): Faszination und Gewalt – Ein Überblick. In: Bernd Ogan und Wolfgang W. Weiß (Hg.): Faszination und Gewalt. Zur politischen Ästhetik des Nationalsozialismus. 1. Aufl. Nürnberg: W. Tümmel, S. 11-38.
  • Reichel, Peter (1992): „Volksgemeinschaft“ und Führer-Mythos. In: Bernd Ogan und Wolfgang W. Weiß (Hg.): Faszination und Gewalt. Zur politischen Ästhetik des Nationalsozialismus. 1. Aufl. Nürnberg: W. Tümmel, S. 137–150.
  • Reichel, Peter (1996): Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus. 3. Aufl. München [u.a.]: Hanser.
  • Riefenstahl, Leni (1935): Hinter den Kulissen des Reichsparteitags-Films. München, Franz Eher Nachf. Verlag (Zentralverlag der NSDAP).
  • Schmidt, Alexander; Windsheimer, Bernd; Wachter, Clemens; Heyden, Thomas (Hg.) (2002): Geländebegehung. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. 3. vollständig überarbeitete Neuaufl. Nürnberg: Sandberg.
  • Thoben, Claudia (2007): Prostitution in Nürnberg. Wahrnehmung und Maßregelung zwischen 1871 und 1945. Nürnberg: Verlagsdruckerei Schmidt
  • Zelnhefer, Siegfried (1992): Rituale und Bekenntnisse. Die Reichsparteitage der NSDAP. In: Ernst Eichhorn (Hg.): Kulissen der Gewalt. Das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. München: Hugendubel, S. 89–98.
  • Zelnhefer, Siegfried (2002): Die Reichsparteitage der NSDAP in Nürnberg. Nürnberg: Nürnberger Presse (Schriftenreihe des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, Bd. 2).