Rhetorik des Hasses

Der Weg nach Auschwitz

GLIEDERUNG DIESER SEITE:

NÜRNBERGER GESETZE

Die Reichsparteitage waren mit den Massenaufmärschen die große Schauseite des Faschismus. Der „schöne Schein des Dritten Reiches“ wurde hier zelebriert. Aber auch während der Reichsparteitage gab es Hetze und Demagogie gegen Andersdenkende und in ihren Augen „Minderwertige“. Das wohl bekannteste Beispiel war der Beschluss über die sog. „Nürnberger Gesetze“. Während des Parteitags von 1935 versammelte sich am 15. September 1935 der „Reichstag“ zu einer Sitzung im Kulturvereinshaus von Nürnberg. Die Gesetze, die an diesem Abend beschlossen wurden, das „Reichsflaggengesetz“, welches die Hakenkreuzflagge zur Nationalflagge erhob, das „Gesetz über das Reichsbürgerrecht“ und das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, hatten das Ziel, die rechtliche Gleichstellung der deutschen Juden abzuschaffen. Das „Gesetz über das Reichsbürgerrecht“ unterschied zwischen „Staatsangehörigen“ und „Reichsbürgern“: „§1. 1. Staatsangehöriger ist, wer dem Schutzverband des Deutschen Reiches angehört und ihm dafür besonders verpflichtet ist. […] § 2. 1. Reichsbürger ist nur der Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes, der durch sein Verhalten beweist, daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen. […] 3. Der Reichsbürger ist der alleinige Träger der vollen politischen Rechte nach Maßgabe der Gesetze.“ (NSDAP 1935: 264) Mit diesem Gesetz wurden Juden die Bürgerrechte entzogen. Mehr noch: Gleichzeitig musste auch eine Person „deutschen Blutes“ „durch sein Verhalten beweis[en], daß er gewillt und geeignet ist, in Treue dem deutschen Volk und Reich zu dienen“. Diese schwammige Definition ließ dem Gesetz einen großen Spielraum, wer als wirklicher „Reichsbürger“ galt. Das Ziel ist klar: Auch die „inneren Feinde“ (der potentielle Verräter, politisch Linke etc.) sollten die vollen politischen und bürgerlichen Rechte abgesprochen bekommen können, eine rechtliche Grundlage, um politische Verfolgung zu legitimieren. Noch weiter ging das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, das Eheschließungen zwischen Juden und „Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ (ebd.: 265) verbot, genauso wie außereheliche sexuelle Handlungen. „Wer dem Verbot […] zuwiderhandelt, wird mit Zuchthaus bestraft.“ (ebd.) Des Weiteren verbietet das Gesetz auch jüdischen Mitbürgern eine „weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren […] in ihrem Haushalt [zu] beschäftigen.“ (ebd.)

Nun mag man sich fragen, warum so ein Paragraph in einem Gesetz stand, in dem es um den „Schutze des deutschen Blutes“ ging. Juden wurden in der NS-Propaganda, wie in dem Hetzblatt „Der Stürmer“, als „Wilde, „Tiere“ und „Triebtäter“ beschrieben, die deutsche Frauen verführen und vergewaltigen wollten. Dass junge deutsche Frauen für Juden in ihrem Haushalt arbeiten, wo eine staatliche Überwachung nur schwer möglich war, dürfe ihrer Ansicht nach nicht geduldet werden. So könnte es in diesem privaten Raum zu möglichen sexuellen Handlungen kommen, die unterbunden werden müssten. „Reichstagspräsident“ Hermann Göring fasste den Sinn dieser Gesetze folgendermaßen in seiner Rede zusammen: „Diese Freiheit nach innen galt es vielleicht oft schwerer zu erringen. Sie ist aber möglich, und darum werden heute auch die Grundsätze festgelegt werden, die diese Freiheit im Innern ein für allemal stabilisieren werden; denn diese Freiheit kommt aus dem Blut, und nur durch die Reinheit der Rasse kann diese Freiheit auch für ewig behauptet werden. Gott hat die Rassen geschaffen. Er wollte nichts Gleiches […].“ (ebd.: 262)

Die „Nürnberger Rassegesetze“ sind ein erschreckendes Beispiel für das wahnhafte Verlangen der Nationalsozialisten nach „Reinheit“. Aber es war gleichzeitig auch eine politische Kampfansage an das Judentum im In- und Ausland, wenn Hitler bei seiner Ansprache vor der Verabschiedung der Gesetze sprach: „Die Deutsche Reichsregierung ist dabei beherrscht von dem Gedanken, durch eine einmalige säkuläre Lösung vielleicht doch eine Ebene schaffen zu können, auf der es dem Deutschen Volke möglich wird, ein erträgliches Verhältnis zum jüdischen Volk finden zu können. Sollte sich diese Hoffnung nicht erfüllen, die innerdeutsche und internationale jüdische Hetze ihren Fortgang nimmt, wird eine neue Überprüfung der Lage stattfinden.“ (ebd.: 258) Der Täter stilisiert sich zum Opfer, dem es doch nur darum ginge, „ein erträgliches Verhältnis“ zu den Juden zu entwickeln. Nach dieser Logik gäbe es keine andere Lösung, als diese Gesetze zu verabschieden, um das deutsche Volk zu schützen. Ausgrenzung um „des Friedens Willens“, um gleichzeitig ein Drohszenario aufzustellen, dass diese Gesetze vielleicht nur der erste Schritt waren.

Zum Vergrößern auf das Bild klicken.

Die Parteielite beim Kongress. (Quelle: United States Holocaust Memorial Museum)

Der Parteikongress

Neben den riesigen Aufmärschen bestanden die Abendveranstaltungen der Parteitage aus einem mehrtägigen, sogenannten „Parteikongress“. Dieser Kongress war für die Parteimitglieder der NSDAP bestimmt, für lokale Parteigrößen und dem weiteren „Mittelbau“ des Parteikaders. Auch hier ging es nicht um Abstimmungen oder einen Meinungsaustausch. Sie erfüllten einen wichtigen Zweck: „Die Parteigenossen mit ‚intellektuellem‘ Anspruch, die Diensteifrigen, die Ratlosen und in ihrer Argumentation Verunsicherten bekamen so Material geliefert, das für geraume Zeit wieder Klarheit im nationalsozialistischen Koordinatensystem verschaffte.“ (Zelnhefer 2002: 177f.) Die Parteikongresse waren die Stunde der „Chefideologen“ der Partei. Unter ihnen redete Gerhard Wagner, Reichsärzteführer im Dritten Reich. Dieser hat seit seiner Ernennung zum Reichsärzteführer 1935 jährlich eine Art „Fortschrittsbericht“ zum Gesundheitszustand des „deutschen Volkes“ dargelegt. Diese hetzerischen und menschenverachtenden Reden des bedeutendsten Vertreters der Mediziner im Dritten Reich, legen ein eindrückliches Beispiel dar, wie Ideologie, Wissenschaft, Sozialdarwinismus und Rassentheorie, im „Dritten Reich“ verstrickt wurden. So sprach er 1936, also ein Jahr nach dem Beschluss der „Nürnberger Gesetze“ drei „große Gefahren des rassischen und biologischen Verfalls“ (NSDAP 1936: 151) an, die das deutsche Volk bedrohen würden: 1. den „Geburtenrückgang“, 2. das „Anschwellen kranker und untüchtiger Erbanlagen“ und 3. die „blutsmäßige Vermischung unseres Volkes mit dem fremden, und nicht artverwandten, insbesondere jüdischen Blut“ (ebd.) So sagt er 1938 über die „Nürnberger Gesetze“: „Deshalb waren die Nürnberger Gesetze von 1935 eine weltgeschichtliche Tat, die unser Volk vor dem weiteren Eindringen fremden Blutes, d.h. vor der Bastardisierung und Zersetzung, gerettet hat.“ (NSDAP 1938: 122) „Allerdings“, so führt er fort, „hat sich bei der Anwendung der Gesetze gezeigt, daß hier jede Milde gegenüber dem jüdischen Feinde fehl am Platz ist und daß Gefängnisstrafen nicht ausreichen, um den jüdischen Rassenschändern das Handwerk zu legen.“ (ebd.) Welche Maßnahme denn nun stattdessen die bessere Wahl als Gefängnis wäre, sagte er dabei nicht. Das Publikum wird es sich aber wohl vorgestellt haben können. Weiter betont er die Bedeutung einer „Zurückdrängung des noch vorhandenen jüdischen Einflusses im öffentlichen Leben“ (ebd.) mit dem Ziel den „jüdischen Einfluss auf allen wichtigen Gebieten unseres öffentliches Leben endgültig auszurotten.“ (ebd.: 123) Er sprach dabei zwar vom Wirtschaftsleben und dem Entzug von Approbationen für jüdische Ärzte. Der Begriff des „Ausrottens“ weckt dabei aber zwangsläufig die Assoziation, dass es dabei nicht bleiben würde. Töten mit Worten, um so den Weg zu bereiten, der schließlich zum Genozid führen konnte. Wagner beließ es bei seinen Reden aber keinesfalls bei der Hetze gegen das Judentum. 1936 sprach er von einem „zweiten biologischen Verfallsprozeß“ (NSDAP 1936: 154), der sich im deutschen Volk abspielen würde: Die Frage von Menschen mit Behinderungen. Er pries das sog. „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ an, ein Gesetz, aufgrund dessen hunderttausende Menschen mit Erbkrankheiten zwangssterilisiert wurden. Dazu sagte er lapidar:„Ich glaube, die von uns geübte Ausmerze lebensunwerten Lebens können wir guten Gewissens verantworten gegenüber einer Welt, die ruhig zusieht, daß überall die giftige Saat des Kommunismus aufgeht und Tausende wertvollster Menschen nutzlos hingeschlachtet werden.“ (ebd.: 155) Nach dieser Logik dienten die „Nürnberger Gesetze“ und Zwangssterilisationen von „lebensunwerten“ Lebens nur der eigenen Selbstverteidigung gegen den „jüdischen Feind“.

In einer anderen Rede mit dem Titel „Der entscheidende Weltkampf“ (NSDAP 1936: 80) beschwört der Chefideologe des Nationalsozialismus, Alfred Rosenberg, die Gefahr vor dem „jüdischen Bolschewismus“ und der jüdischen „Weltverschwörung“. Kein einziges Volk, „das diesem Wirken ideenlos oder untätig zuschaut, [darf] sich als vor dem Bolschewismus gesichert bezeichnen.“ (ebd.: 81) Dieser Bolschewismus sei von Anfang an jüdisch geprägt, was sich bis heute nicht verändert hätte. Der „jüdische Bolschewismus“ stelle die Gefahr dar, vor der wir uns schützen und wehren müssen. Juden seien „Parasiten“ (ebd.: 85) und in der Sowjetunion bestehe eine „jüdische Schmarotzerherrschaft.“ (ebd.: 91) Er beendete seine Rede, indem er Adolf Hitler als denjenigen pries, der das deutsche Volk vor der „jüdisch-bolschewistischen Gefahr“ bewahren könne und dem deswegen ein unbedingter Gehorsam geleistet werden müsse. „Wir in Deutschland sind stolz, daß in unserem Führer und in unserer Bewegung der Bolschewismus und das verbrecherische Judentum ihren entscheidenden Gegner gefunden haben, und wir geben das Versprechen ab, daß diese zerstörenden Kräfte, solange wir und unsere Nachkommen leben, sich niemals mehr in Deutschland erheben werden.“ (ebd.: 96)

Die ausgeführten Reden hier zeigen, wie auch bei den Reichsparteitagen Hass und Angst geschürt wurde. Deshalb ist das Staatsschauspiel von Nürnberg zugleich „Faszination und Gewalt“. Während bei den Massenveranstaltungen das „neue Deutschland“ beschworen wurde, bestanden die Abendstunden bei den Parteikongressen aus der Indoktrination des Rassismus, der schließlich zum Holocaust führen sollte.

Zum Vergrößern auf das Bild klicken.

Postkarte für den Reichsparteitag 1939. (Quelle: Gemeinfrei)

Jahreschronik

Jeder Parteitag stand unter einem bestimmten Motto, das auf aktuelle politische Ereignisse anspielte. (vgl. Dietzfelbinger 2004: 65)

1933 - Reichsparteitag des Sieges

Der erste Reichsparteitag im „Dritten Reich“ stand im Zeichen der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933. Hitler verkündete, dass von nun an alle Parteitage in Nürnberg stattfinden würden.

1934 - Reichsparteitag der Einheit und Stärke

Der Titel nahm indirekten Bezug auf die Ermordung vom SA-Stabschef Ernst Röhm, der für Hitler ein Konkurrent war. Mit der Ausschaltung Röhms endete der große Einfluss der SA. In diesem Jahr wurde „Triumph des Willens gedreht“.

1935 - Reichsparteitag der Freiheit

Das Motto nahm Bezug auf die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und der Aufhebung der militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrages. Die „Nürnberger Gesetze“ wurden bei einer Sondersitzung des Reichstags beschlossen und verkündet.

1936 - Reichsparteitag der Ehre

Der Titel nahm Bezug auf die Austragung der Olympischen Spiele in Berlin und die Besetzung der entmilitarisierten Zone im Rheinland.

1937 - Reichsparteitag der Arbeit

Verkündung des „Vierjahresplanes“, mit dem die Grundlagen für eine rasche Wiederaufrüstung gelegt wurden. Die Bauarbeiten auf dem Reichsparteitagsgelände wurden als Beweis für den Erfolg der Wirtschaftspolitik und der Leistungsfähigkeit Deutschlands gefeiert.

1938 - Reichsparteitag Großdeutschland

Im Zentrum stand der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich und dem anschließenden Anschluss an das Deutsche Reich. Die „Reichskleinodien“ wurden nach Nürnberg überführt und feierlich präsentiert.

1939 - Reichsparteitag des Friedens

Der Parteitag, der am 2. September beginnen sollte, wurde kurzfristig abgesagt. Er sollte im In- und Ausland das Bestreben nach „Frieden“ demonstrieren. Am 1. September überfiel Deutschland Polen und entzündete damit den Zweiten Weltkrieg.

Zum nächsten Kapitel: Architektur des Größenwahns.

LITERATURVERZEICHNIS

 
  • Dietzfelbinger, Eckart; Liedtke, Gerhard (2004): Nürnberg – Ort der Massen. Das Reichsparteitagsgelände Vorgeschichte und schwieriges Erbe
  • NSDAP (1935): Der Parteitag der Freiheit. Offizieller Bericht über den Verlauf des Reichsparteitages mit
    sämtlichen Kongreßreden. München, Zentralverl. der NSDAP, Eher.
  • NSDAP (1936): Der Parteitag der Ehre. Offizieller Bericht über den Verlauf des Reichsparteitages mit
    sämtlichen Kongreßreden. München, Zentralverl. der NSDAP, Eher.
  • NSDAP (1938): Der Parteitag Großdeutschland 1938. Offizieller Bericht über den Verlauf des
    Reichsparteitages mit sämtlichen Kongreßreden. München, Zentralverl. der NSDAP, Eher.
  • Zelnhefer, Siegfried (2002): Die Reichsparteitage der NSDAP in Nürnberg. Nürnberg: Nürnberger Presse (Schriftenreihe des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, Bd. 2).