„Kulturareal“ Kongresshalle

Ein Ort der Erinnerungs- und Zukunftskultur?

Kunst und Geschichte im Einklang?

Die Stadt Nürnberg hat im Jahr 2022 beschlossen, die Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände zu einem „Kulturareal“ umzugestalten. Dieser Umbau soll verschiedene kulturelle Nutzungen vereinen, darunter eine Ersatzspielstätte für das Staatstheater Nürnberg. Des Weiteren sollen Künstlerinnen und Künstler in der Kongresshalle mit dem Konzept von sog. „Ermöglichungsräumen“ Ateliers, Proberäume und Werkstätten erhalten.

„Durch die enge Verzahnung des Staatstheaters mit der künstlerischen Arbeit in den Ermöglichungsräumen entsteht in der Kongresshalle ein einzigartiger und innovativer Kulturort, der mit den Mitteln der Kunst eine zukunftsgerichtete Auseinandersetzung mit der Geschichte fördert. 

Gemeinsam mit dem Um- und Ausbau des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände und der Entwicklung von Zeppelintribüne und Zeppelinfeld zu einem Lern- und Begegnungsort entwickelt man das Areal zu einem Ort der aktiven und zukunftsgerichteten Erinnerungskultur.“  (Stadt Nürnberg o.J. a)

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Zukünftige Nutzung der Kongresshalle, ohne geplantem Ergänzungsbau (blau = Staatheater, rot = Ermöglichungsräume, grün = Dokumentationszentrum)

So soll die neue Spielstätte des Nürnbergers Staatstheaters aussehen (Quelle: Instagram.com/kongresshalle.nbg)

Neue Spielstätte des Nürnberger Staatstheaters

Am 20. Juli 2022 hat der Nürnberger Stadtrat den Bau eines „Ergänzungsbaus“ im nordwestlichen Bereich des Innenhofs der Kongresshalle beschlossen. Dieser Ergänzungsbau wird der neue (und für mindestens 25 Jahre bestehende) öffentliche Spielort für das Nürnbgerger Staatstheater werden, da der bisherige Ort an der Richard-Wagner-Straße wegen Sanierungserfordernissen zukünftig nicht mehr zur Verfügung stehen kann. Dieser Ergänzungsbau umfasst Bühne, Zuschauerraum, Orchesterprobenraum sowie bühnennahe Funktionsbereiche. (vgl. Stadt Nürnberg 2022a). Die Stadtverwaltung hat daraufhin im März 2023 ein Vergabeverfahren gestartet, das die gemeinsame Vergabe der Planungs- und Bauleistungen ermöglicht. Der ausgewählte Entwurf des Architekturbüros LRO GmbH & Co. KG und des Bauunternehmens Georg Reisch GmbH & Co. KG wurde am 17. Juli 2024 präsentiert.

Der „Ergänzungsbau“, indem in Zukunft bspw. Opern stattfinden werden setzt sich von der Architektur der Kongresshalle ab. „Geboten erscheint hier eine Architektur, die paradoxerweise nicht als solche in Erscheinung tritt“, wird in der Pressemitteilung Luisa Beyenbach zitiert, die das Bauunternehmen in Auftrag gab. (ebd.) Diese sogenannte „Nicht-Architektur“ soll die gestalterische Dominanz des bestehenden Dokumentationszentrums wahren und die Lebendigkeit des geplanten Neubaus unterstreichen. Die Außenwände des Baus sollen von Pflanzen verdeckt werden, laut der Stadt eine Anspielung auf die Geschichte des Ortes als Naherholungsgebiet in der Zeit vor 1933. „Grün entsteht dort“, so die Pressemitteilung, „wo vor 1933 eine Waldfläche vorhanden war und mit Erbauung des Kongresszentrums unzählige Bäume gefällt wurden. So gesehen wird zurückgebaut. Die Natur nimmt den Raum ein.“ Neben dem Ergänzungsbau sollen zukünftig 6 der insgesamt 16 Sektoren des Kongresshalle für Probebühnen, Verwaltung, Einlass, Garderobe etc. des Staatstheaters genutzt werden.

Die Planung und Ausschreibung des „Ergänzungsbaus“ wurde von einer 8-köpfigen Jury begleitet, in der u.a. auch Norbert Frei mitwirkt. (vgl. Stadt Nürnberg 2022b) Das ist insbesondere interessant, da sich Frei mehrfach öffentlich kritisch mit der Konzeption der „Instandhaltung“ der Zeppelintribüne und des Zeppelinfeldes auf dem Gelände auseinandergesetzt hat.

Ateliers und Proberäume

Im Rahmen des neuen Kulturareals in der Kongresshalle Nürnberg sollen sogenannte „Ermöglichungsräumen“ geschaffen werden. Diese Räume, die als Ateliers, Proberäume und Werkstätten für die freie Kunstszene vorgesehen sind, sollen kreativen Köpfen der Stadt Nürnberg einen Ort bieten, an dem sie ihre künstlerischen Ideen und Projekte verwirklichen können. Die Räume gliedern sich in zwei Hauptbereiche: das „Präsentationshaus“ und das „Produktionshaus“. Insgesamt stehen über 7.000 Quadratmeter für künstlerische und kulturelle Nutzungen zur Verfügung (Stadt Nürnberg 2024).

Das Produktionshaus soll als Arbeitsraum für Künstler und Musiker konzipiert werden. Hier entstehen 25 Bandproberäume, ein Tonstudio sowie 49 Ateliers, die für vielfältige künstlerische Tätigkeiten genutzt werden können. Darüber hinaus ist ein Tanzsaal mit einer Fläche von knapp 200 Quadratmetern geplant. Ergänzt wird dieses Angebot durch verschiedene Werkstätten, die den Künstlern und Kreativen vor Ort zusätzliche Möglichkeiten zur Produktion und Umsetzung ihrer Projekte bieten.

Das Präsentationshaus dient der öffentlichen Darstellung von Kunst und Kultur. Auf einer Fläche von rund 1.800 Quadratmetern werden Veranstaltungs- und Ausstellungsräume eingerichtet, die für unterschiedliche Formate und künstlerische Präsentationen genutzt werden können.

Zusätzlich zu den spezialisierten Räumen sind rund 750 Quadratmeter für Begegnungsflächen und Multifunktionsräume vorgesehen. Diese Bereiche, wie Teeküchen, Vereinsräume und Aufenthaltsräume.

Die baulichen Eingriffe in die Kongresshalle sollen bewusst auf ein Minimum beschränkt werden, um den denkmalgeschützten Rohbaucharakter des Gebäudes zu erhalten. Auf Verputz oder Anstrich des Mauerwerks wird verzichtet, technische Anlagen bleiben sichtbar. (vgl ebd.)

Kulturreferentin Julia Lehner über die geplanten „Ermöglichungsräume“ für Kunst und Kultur

Kosten und Ziele

Die Gesamtkosten für das gesamte Kulturareal werden aktuell auf 296,2 Millionen Euro geschätzt (Stadt Nürnberg 2024a: 2). Die Kosten für den Ergänzungsbau des Nürnberger Staatstheaters wird auf 85,5 kalkuliert, für die sog. „Ermöglichungsräume“ 44 Millionen Euro. Die Stadt Nürnberg erhofft sich, durch die Neugestaltung der Dauerausstellung im Dokumentationszentrum und der Nutzung weiterer großer Segmente der Kongresshalle eine Belebung und Verschmelzung von Kultur und Erinnerungsarbeit:

 „Gerade das Zusammenwirken aller Akteure – Dokumentationszentrum Reichsparteitags-gelände, Staatstheater Nürnberg, der Künstlerinnen und Künstler der lokalen, überregionalen und internationalen freien Szene sowie der Nürnberger Symphoniker – ermöglicht ein einzigartiges Innovationspotenzial. Neue Kooperationsmodelle für Produktion, Präsentation und Rezeption schaffen neue Impulse für die Erinnerungskultur im 21. Jahrhundert. Die Kongresshalle soll zu einem international relevanten und ausstrahlenden Kultur- und Bildungsort mit Modellcharakter für Demokratiebildung und Aufklärung angesichts kritischer gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen werden. Das erklärte Ziel ist eine enge Zusammen-arbeit der Akteurinnen und Akteure vor Ort, die kreative Impulse sowohl für die Weiterent-wicklung des Kulturareals als auch für die Arbeit der jeweiligen Institutionen setzt.“ (Stadt Nürnberg 2024b: 2)

Kritik an den Plänen des „Kulturareals“

Die geplanten kulturellen Nutzungen der Kongresshalle in Nürnberg stoßen auf teilweise auf heftige Kritik von unterschiedlichen Seiten. Während die Stadt Nürnberg die Idee als innovative Nutzung und Weiterentwicklung des Ortes darstellt, sehen viele Kritiker darin eine Gefahr für die Erinnerungsarbeit und die historische Authentizität des NS-Erbes. Es besteht die Sorge, dass die Monumentalität und die Leere des Ortes, die bisher zur Veranschaulichung der nationalsozialistischen Ideologie und deren Scheitern gedient haben, durch die neuen baulichen Maßnahmen verloren gehen. Die Kritik konzentriert sich nicht nur auf die inhaltliche Veränderung des Ortes, sondern auch auf den Prozess der Entscheidungsfindung, der als intransparent und überhastet wahrgenommen wird. Kritiker*innen sind unter anderem:

Der Verein Geschichte für Alle

Der Verein „Geschichte für Alle“ betont, wie wichtig die monumentale Leere der Kongresshalle für die historische Auseinandersetzung ist. Diese Leere ermögliche es den Besuchern, die ideologische und architektonische Absicht des Nationalsozialismus sowie dessen Scheitern unmittelbar zu spüren. Durch den geplanten Bau eines Opernhauses befürchtet der Verein, dass diese Wirkung verloren geht. „Beim Betreten des Innenhofes beobachten wir immer wieder, wie stark die Gäste auf die Dimension des leeren Raumes reagieren. Gerade diese einzigartige Wirkung würde durch einen architektonischen Eingriff zerstört. (Geschichte für Alle e.V. 2021:1)

Arbeitskreis gegen Rechts der SPD Nürnberg

Der Arbeitskreis kritisiert scharf, dass der geplante Neubau die Erinnerungskultur gefährdet. Insbesondere der Verlust des leeren Raumes und der Höhe des Gebäudes (fast so hoch wie die Kongresshalle) werden als bedenklich angesehen, da sie den erinnerungskulturellen Denkmalwert der Kongresshalle nachhaltig beeinträchtigen könnten. Der Arbeitskreis fordert eine Verschiebung der Entscheidung und eine umfassendere Diskussion, die auch die Bürger der Stadt Nürnberg einbezieht. Sie sehen den schnellen Stadtratsbeschluss als problematisch und intransparent an, da wichtige Akteure der politischen Bildungsarbeit nicht ausreichend in den Prozess eingebunden wurden. (vgl. AK gegen Rechts SPD 2021)

Architektenverein Baulust

Der Verein „Baulust“ stellt den zukünftigen Umgang mit der Kongresshalle in Frage und warnt davor, dass die bisherige Erinnerungsarbeit der Stadt Nürnberg aufs Spiel gesetzt wird. Sie betonen, dass die Stadt sich den guten Ruf in der Auseinandersetzung mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit hart erarbeitet hat und dass dieser durch das Projekt leichtfertig verloren gehen könnte. (vgl. Baulust 2021)

Gruppe Zentrale für kritische Bürger*innenanliegen

Ein Kollektiv an Student*innen an der Kunstakademie Nürnbert sieht das Kulturprojekt als einen Versuch, eine Art Schlussstrich zu ziehen, um das Gebäude damit verwertbarer zu machen, was sie stark ablehnen. Sie betonen, dass die Monumentalität und die Ödnis des Ortes, also die Leere, entscheidend sind, um den Größenwahn und das Scheitern der NS-Ideologie erfahrbar zu machen. Sie weisen darauf hin, dass diese Leere durch den Bau eines Opernhauses empfindlich gestört würde, was die Wahrnehmung des Ortes und dessen historische Bedeutung beeinträchtigen könnte. Zudem kritisieren sie, dass die Stadt Nürnberg zu wenig auf das NS-Erbe eingeht und erinnert an frühere Versuche, NS-Stätten unsichtbar zu machen, wie etwa die Sprengung der Türme auf dem nahen Märzfeld in den 1960er Jahren. (vgl. TAZ 2024: Altbau mit Nazivergangenheit)

Wolfgang Brauneis (ehemaliger Direktor des Kunstvereins Nürnberg)

Brauneis befürchtet, dass die Entscheidung der Stadt Nürnberg in Sachen Erinnerungskultur einen großen Rückschritt darstellt. Er betont, dass die Kunstgeschichtsforschung in den letzten 20 Jahren viel erreicht hat, indem sie sich mit NS-Kunst auf differenzierte Weise auseinandergesetzt hat. Mit dem aktuellen Projekt wird seiner Meinung nach eine Simplifizierung in der Erinnerungskultur vorgenommen, die die Komplexität der Auseinandersetzung gefährden könnte. (vgl. TAZ 2024: Altbau mit Nazivergangenheit)

Hans-Christian Täubrich (früherer Direktor des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände)

Täubrich äußert sich besonders kritisch über die Idee, dass Menschen in Abendgarderobe zu Opernaufführungen an einem Ort kommen, der so stark mit der nationalsozialistischen Vergangenheit verbunden ist. Er befürchtet, dass Nachfahren von NS-Opfern dies als respektlos empfinden könnten und dass dadurch der historische Kontext des Ortes vernachlässigt wird. (vgl. TAZ 2024: Altbau mit Nazivergangenheit)

Kultur auf schwierigem Terrain

Kommentar des Autors

In den letzten Jahren hat sich die Diskussion um die Zukunft des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes einerseits intensiviert, es sind andererseits auch neue Perspektiven und Absichten entstanden. Während in den 2010er Jahren insbesondere die Instandsetzung der Zeppelintribüne und des Zeppelinfeldes im Fokus stand, um erinnerungspädagogische Konzepte zu entwickeln und zu überarbeiten, rückt nun die Nutzung der größtenteils ungenutzten Kongresshalle in den Vordergrund.

Die Skulpturen „Overkill I + II“ von Hans-Jörg Breuste sind aktuell die einzigen dauerhaften Kunstinstallationen auf dem Gelände (hinter der Zeppelintribüne.

KUNST AUF DEM PARTEITAGSGELÄNDE

Eckhart Dietzfelbinger über Kunstprojekte auf dem Gelände (2016)

Kultur als Antwort auf Unkultur

Die aktuelle Devise hat der Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, Markus König, prägnant zusammengefasst: „Ein Ort der Unkultur wird weiter mit Kultur aufgeladen und zum Ort demokratischer Bildung.“ (König 2024). Die Forderung, dass Kunst auf dem Gelände eine ergänzende Rolle zur erinnerungskulturellen Arbeit des Dokumentationszentrums einnehmen soll, wurde bereits in den „Leitlinien zum künftigen Umgang der Stadt Nürnberg mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände“ aus dem Jahr 2004 formuliert: „Daneben sollen (künstlerische) Angebote geschaffen werden, die politisch Interessierten und zufälligen Passanten und Freizeitnutzern andere Zugänge in der Beschäftigung mit dem Gelände und der NS-Zeit ermöglichen.“ (Stadt Nürnberg 2004: 1f.) Die Bedeutung von Kultur auf dem Gelände hat bspw. auch Eckhart Dietzfelbinger bei den Dreharbeiten zu diesem Projekt im Jahr 2016 betont (siehe Video). Die Leitlinien werden seitens der Stadt als Grundlage für die Konzeption des geplanten Kulturareals herangezogen. Gleichzeitig heißt es dort jedoch auch: „Grundsätzlich dürfen keine Festlegungen getroffen werden, die nachfolgenden Generationen die Möglichkeit verschließen würden, eine eigene Form des Umgangs zu finden und mit eigenen Antworten auf die NS-Hinterlassenschaft zu reagieren.“

An diesem Punkt prallen die verschiedenen Meinungen, insbesondere zum neuen Bau der Spielstätte des Staatstheaters Nürnberg, aufeinander: Während die Stadt die Möglichkeiten der Kultur als neuen Weg in der Auseinandersetzung mit dem NS-Erbe sieht, betonen Kritiker*innen die eingeschränkte Sichtbarkeit und die dauerhafte Veränderung des Geländes, was die pädagogischen Möglichkeiten einschränken könnte.

Die besondere Rolle der Kongresshalle

Interessant ist die Begründung, warum es überhaupt möglich erscheint, die Kongresshalle für Kunst und Kultur zu nutzen. Prof. Dr. Hans-Joachim Wagner, Leiter der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände, erklärte in einem Webinar der IHK-Nürnberg (das Video finden Sie hier):

  • Beim Bau der unfertigen Kongresshalle in den 1930er Jahren wurden keine Zwangsarbeiter eingesetzt.
  • Die verwendeten Steine stammten nicht aus KZ-Steinbrüchen wie Flossenbürg.
  • Das Gebäude wurde nie von dem NS-Regime genutzt.

Daher, so Wagner, handelt es sich nicht um ein Mahnmal, sondern um einen Rohbau, was die Möglichkeit eröffne, Transformationsprozesse durchzuführen.

Ambivalente Positionen zur Nutzung eines Täterorts

Das Beispiel des geplanten Kulturareals zeigt erneut, wie ambivalent die Meinungen über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände sind. Klar ist, dass die Diskussionen rund um die Nutzung eines ehemaligen Täterorts offener geführt werden können als bei einem Gedenkort der Opfer des NS-Regimes. Gleichzeitig ist dies auch ein Beispiel für die Diskussion, ob die Erinnerungskultur in Deutschland „allzu routiniert“ sei (vgl. Dierl 2021: 259). Der Geschichtswissenschaftler Norbert Frei hat dies am Beispiel Nürnbergs häufiger kritisiert und behauptet, die Stadt „sei in dieser Hinsicht schon seit Langem nicht sehr kreativ“ (Grampes 2020). Es ist deshalb bemerkenswert, dass Frei Juror für die Ausschreibung der geplanten Spielstätte des Nürnberger Staatstheaters geworden ist. Dies zeigt, dass sich die Stadt wohl der Kritik einer „Kreativlosigkeit“ entgegenstellen wollte, indem sie Frei in die Jury berief.

Kunst als Mittel zur Auseinandersetzung

Wie sind die Pläne für das Kulturareal einzuordnen? Beginnen wir mit der einfacheren Antwort: Die „Ermöglichungsräume“, die eine Vielzahl von Proberäumen für Musiker*innen und Ateliers für Künstler*innen umfassen, sind nach Ansicht des Autors dieser Zeilen eine sinnvolle Erweiterung der Nutzung der Kongresshalle. Sie bieten lokalen Künstler*innen die Möglichkeit, eigene Antworten und Ideen zu entwickeln und den Ort demokratisch und kulturell in Besitz zu nehmen. Diese Nutzung ist definitiv sinnvoller als die frühere Verwendung der Halle als Lagerraum bspw. für das Versandkaufhaus Quelle. Zudem greifen die Umbaumaßnahmen für die „Ermöglichungsräume“ nur minimal in die bestehende Architektur ein.

Der umstrittene Ergänzungsbau

Die schwierigere Frage betrifft den sogenannten „Ergänzungsbau“ für das Nürnberger Staatstheater. Zunächst muss betont werden, dass dieser Bau einen Großteil der Gesamtkosten ausmacht – fast 100 Millionen Euro sind derzeit für den Spielsaal geplant. Der Bau mit seiner Pflanzenfassade – unabhängig davon, ob man ihn optisch ansprechend findet oder nicht – wird den Innenraum der Kongresshalle stark verändern. Er stellt sich quasi in den Weg – und im schlimmsten Fall auch den erinnerungspädagogischen Möglichkeiten, wenn Besucher*innen zunächst den riesigen „Pflanzenkasten“ wahrnehmen, anstatt die Leere und schiere Größe des Ortes. Da der Bau unter anderem vom Land Bayern finanziert wird und eine Nutzungsdauer von mindestens 25 Jahren festgelegt ist, wird dieser Bau langfristig ins Auge fallen und das Erlebnis eines Besuchs in der Kongresshalle nachhaltig verändern.

Kunst und Kontroversen

Es stellt sich auch die Frage, was in dieser neuen Spielstätte eigentlich aufgeführt werden soll. Diese Frage richtete auch die Süddeutsche Zeitung an Staatsintendant Jens-Daniel Herzog:

SZ: Soll man auf diesem Gelände Wagner spielen?

JDH: Natürlich müssen wir da Wagner spielen! Ein großes Opernhaus, das zehn Jahre keinen Wagner spielt, wäre ja lächerlich. Wir stellen dessen Werke ja nicht auf einen Sockel. Das ist Material, das wir durchdringen und zu unserer Sache machen. Die Vorstellung, wir würden mit heiligen Wagner-Weihe-Spielen die Nazis wiederauferstehen lassen, ist absurd und abwegig.

SZ: Werden Sie auch die „Meistersinger“ spielen? Die Reichsparteitage wurden mit den „Meistersingern“ im Nürnberger Opernhaus eröffnet.

JDH: Das ist doch immer die Herausforderung: Wie macht man die „Meistersinger“? In unserer letzten Meistersinger-Inszenierung am Haus haben wir uns genau mit der von Ihnen angesprochenen Rezeptionsgeschichte auseinandergesetzt. Natürlich muss man das. In dieser Oper geht es schließlich um die Auseinandersetzung der beharrenden mit den nach vorne strebenden Kräften. Also „Es soll alles bleiben, wie es ist“ gegen „Schafft Neues“. Diesen Widerstreit kann man aller Folklore und Butzenscheibenseligkeit berauben. (Staatstheater Nürnberg 2022)

 

FOTOPROJEKT VON STEFFEN SUUCK

Ausblick

Herzog sieht es als selbstverständlich an, Wagner-Opern an diesem Ort aufzuführen. Doch es ist durchaus berechtigt, sich zu fragen, wie man die „Meistersinger von Nürnberg“ so kontextualisieren kann, dass sie für diesen speziellen Ort angemessen erscheinen. Das Projekt birgt ein großes Spannungsfeld, wenn die Stadt sich entscheidet, Kunst und Kultur auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände zu etablieren. Gerade weil dieser Ort besonders ist und die Geschichte des Ortes bekannt ist, werden die Aufführungen an diesem Ort besondere Beachtung finden. Dies gilt insbesondere für Werke von Antisemiten wie Richard Wagner. Aber nicht nur bei Wagner-Aufführungen wird genau hingeschaut werden müssen: Die Frage, wer dort welche Ausstellungen macht, welche Bedeutung die ausgestellten Werke haben und ob sie an diesem Ort angemessen sind, wird permanent im Raum stehen. Dies kann zu einer lebendigen Diskussion führen und jungen Generationen Antworten auf die Frage geben: „Was geht mich das heute noch an?“ Dies kann erhellend sein – und muss es sogar. Sollte dies nicht gelingen, würde die Stadt tatsächlich einiges von ihrem guten Ruf für ihre Erinnerungsarbeit einbüßen, und das Projekt könnte sich in die Liste älterer, gescheiterter Pläne einreihen, wie die Umwandlung der Kongresshalle in ein Fußballstadion (1958) oder ein Einkaufszentrum (1987). Alexander Schmidt bezeichnete diese Art von Plänen als die Idee, „das Beste aus dieser Sache herauszuholen, was herauszuholen geht!“ (Schmidt 2021: 270). Dies wäre der Fall, wenn – wie Hans-Christian Täubrich es ausdrückte – Herren und Damen in feiner Abendgarderobe Opern lauschen, ohne das eigentliche Gelände und dessen Bedeutung wahrzunehmen.

Die Entscheidung, dass in der Kongresshalle ein Kulturareal entsteht, ist gefallen – die Zukunft wird zeigen, was daraus wird.

Die Leere des Raumes wird bald einem Opernhaus weichen


Literaturverzeichnis

  • Stadt Nürnberg (2004): Leitlinien/Leitgedanken zum künftigen Umgang der Stadt Nürnberg mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Online verfügbar unter: https://www.nuernberg.de/imperia/md/nuernbergkultur/dokumente/veroeffentlichungen/leitlinien_stadtrat.pdf zuletzt abgerufen am 24.08.2024
  • Stadt Nürnberg (2022a). Vergabeentscheidung getroffen: So sieht die neue Staatstheater-Spielstätte im Kongresshallen-Innenhof aus. Online verfügbar unter: https://www.nuernberg.de/internet/kongresshalle/aktuell_90919.html, zuletzt geprüft am 22.08.2024
  • Stadt Nürnberg (2022b). Gutachterverfahren zur Standortbestimmung für eine Ausweichspielstätte der Musik- und Tanztheatersparten des Staatstheaters Nürnberg: Empfehlung der Jury. Online verfügbar unter: https://www.nuernberg.de/presse/mitteilungen/presse_79715.html, zuletzt geprüft am 22.08.2024
  • Stadt Nürnberg (2024a). Beschlussvorlage „Gesamtkosten- und Finanzierung des Bau- und Kulturentwicklungsvorhabens Kongresshalle“. Online verfügbar unter: https://online-service2.nuernberg.de/buergerinfo/getfile.asp?id=914045&type=do zuletzt geprüft am 22.08.2024
  • Stadt Nürnberg (2024b). Sachverhalt „Gesamtkosten- und Finanzierung des Bau- und Kulturentwicklungsvorhabens Kongresshalle“. Online verfügbar unter: https://online-service2.nuernberg.de/buergerinfo/getfile.asp?id=913782&type=do zuletzt geprüft am 22.08.2024
  • TAZ (2024): Altbau mit Nazivergangenheit. Online verfügbar unter: https://taz.de/NS-Reichsparteitagsgelaende-in-Nuernberg/!6017338/ zuletzt abgerufen am 24.08.2024